Politisch Handeln in der Sozialen Arbeit?


Wohnen als universelles und unveräußerliches Menschenrecht
Sommersemester 2022
Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Truschel / photothek

Kaum ein Berufsfeld ist so vielfältig wie die Soziale Arbeit. Wer ein Studium der Sozialen Arbeit abschließt kann, in Ämtern wie zum Beispiel im Jugend- oder Sozialamt tätig werden, in staatlicher Trägerschaft wie in der Schulsozialarbeit, es gibt private Angebote, betriebliche und gemeinnützige Einrichtungen. Soziale Arbeit zieht sich durch gesellschaftliche Institutionen. Sozialarbeiter*innen dienen als Ansprechpartner*innen für alle erdenklichen Lebenslagen. Die Bedeutung der Sozialen Arbeit für gesellschaftliche Prozesse erscheint also fast schon selbstverständlich. Im Besonderen daher, dass die Soziale Arbeit sich in Vielzahl mit marginalisierten Personen beschäftigt und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern, immer zur Aufgabe Sozialer Arbeit gehört. Dennoch entsteht, wenn über Soziale Arbeit gesprochen oder geschrieben wird, meist das Bild einer Praxis, die harmoniesuchend, emphatisch und rücksichtsvoll ist. Ein klarer Kontrast zu dem, was allgemeinhin mit Politik assoziiert wird. Mit Politik wird Konflikthaftigkeit verknüpft, Konfrontation und Macht.

Dass das Handeln der Sozialen Arbeit von der Politik beeinflusst wird, ist logisch. Politik bestimmt die Ziele und Wirkungsfelder der Sozialen Arbeit und schafft die gesetzliche Grundlage um zu handeln. Bei öffentlichen Trägern bestimmt sie über die finanziellen Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Politik steckt den Handlungsrahmen der Sozialen Arbeit durch Regeln und Vorschriften ab (vgl. Bostel, Fischer, 2018, S. 18-19). Dennoch ist umstritten, inwiefern Soziale Arbeit politische Arbeit sein soll oder sogar muss.

In der Sozialen Arbeit wird von einem doppelten oder einem sogenannten Tripelmandat gesprochen. Das eine Mandat erfolgt durch den Staat, durch Gesetze und Ressourcen, die die Handlungsaufträge sowie die Struktur, in der sich die Soziale Arbeit bewegt, schaffen (vgl. Spiegel, 2013, S.2). Gegenüber diesen staatlichen Handlungsaufträgen steht der Handlungsauftrag bzw. das Mandat, welcher von den Klient*innen der Sozialen Arbeit selbst ausgeht (vgl. ebd., S. 26). Staub-Bernasconi erweiterte dieses Doppelmandat um eine zusätzliche dritte Dimension – die Verpflichtung gegenüber der Profession (vgl. Staub-Bernasconi, 2018, S. 114 – 115). Diese wird auch häufig als politisches Mandat gesehen oder interpretiert.

Ein Blickwinkel, aus welchem auf das politische Handeln in der Sozialen Arbeit geblickt werden kann, ist der, dass im politischen Handeln eine Bevormundung und/oder Instrumentalisierung der Klient*innen erfolgen könnte (vgl. Bostel, Fischer, 2018, S. 21)

Dem gegenüber sehen Befürworter*innen des politischen Mandats der Sozialen Arbeit die Soziale Arbeit in der Pflicht anwaltschaftlich für die Lebensverhältnisse der Klient*innen einzutreten und auch die politische Bildung als Auftrag der Sozialen Arbeit, zum Beispiel in Aufklärungs- oder Bildungsarbeit an Schulen und Institutionen (vgl. ebd.). Des Weiteren finden sich in der Definition für Soziale Arbeit des internationalen Zusammenschlusses der Profession Sozialer Arbeit – International Federation of Social Workers, welche auf der Website des Berufsverbandes der Sozialen Arbeit (DBSH) veröffentlicht wurde, einige Hinweise, die auf die gesellschaftliche und politische Verantwortung der Sozialen Arbeit verweisen.

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt […]. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein“.

Wenn Soziale Arbeit als Profession gesellschaftliche Veränderung, soziale Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt fördern soll, wie soll ihr dies im gesamtgesellschaftlichen Kontext gelingen, ohne dabei politisch zu handeln? Und wenn sie bei ihren Handlungen die vorhandenen Strukturen einbinden soll, wie soll dies passieren, ohne dabei politische Strukturen zu nutzen und in diesen zu handeln? Diese Definition der Sozialen Arbeit legt also eine politische Verpflichtung der Sozialen Arbeit nahe.

Soziale Arbeit konzentriert sich auf vulnerable Gruppen, welche gesamtgesellschaftlich in vieler Hinsicht strukturell benachteiligt werden. Die Schicksale der Menschen, mit denen die Soziale Arbeit arbeitet, passieren nicht in einem luftleeren Raum, sondern sind in gesellschaftliche Strukturen eingebettet, dies kann nicht ausgeblendet werden. Wenn Hilfe für einzelne Personen geleistet wird, ist es unvermeidlich, auch mit den zugrunde liegenden gesamtgesellschaftlichen sozialpolitischen Strukturen konfrontiert zu werden. Daher sehe ich es als unausweichlich an, dass die Soziale Arbeit sich politisch einmischt und die Expertise, über die sie zweifelsohne verfügt, im politischen Handeln eingebracht wird.

Quellen:

Bostel, D./ Fischer U. (2018) Politisches Grundwissen für die Soziale Arbeit. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH

Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.-DBSH (o. J.): Definition der Sozialen Arbeit. [10.06.2022]

Ehrhardt, A. (2013). Methoden der Sozialen Arbeiten (2. Aufl.). Schwalbach: Wochenschau Verlag.

Staub-Bernasconi, S. (2018). Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Soziale Arbeit auf dem Weg zu kritischer Professionalität (2. Vollständig überarbeitete & aktualisierte Ausgabe). Leverkusen: Barbara Budrich.

Spiegel H. (2013). Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (5. vollständig überarbeitete Aufl.). München: Ernst Reinhardt.