Offener Brief an Hubertus Heil Fristen verlängern, Zwangsräumungen verhindern
Ministerium für Arbeit und Soziales: Bundesminister Hubertus Heil
Sehr geehrter Herr Minister Heil,
Miet- und Energieschulden werden von Bürger*innen als einer der Hauptgründe für ihre Wohnungslosigkeit benannt 1. Hierbei folgt nach einer fristlosen Kündigung die Zwangsräumnung.
Die Abwendung der Wohnungslosigkeit hat sich für uns zu einem persönlichen Anliegen entwickelt.
Wir sind Studierende der TH Köln und behandeln im Rahmen eines interdisziplinären Seminars der Sozialen Arbeit das Thema „Abwendung von Wohnungslosigkeit”. Einzelne Mitwirkende der Gruppe konnten die Problematik durch ihre Arbeit in Einrichtungen für Betroffene der Obdach- und Wohnungslosigkeit hautnah miterleben und uns von ihren Erfahrungen berichten.
Während des Beginns der Pandemie wurden Räumungsverfahren ausgesetzt. Aus diesem Grund ist das Arbeitspensum für Mitarbeitende der sozialen Einrichtungen jetzt höher, weil die Räumungen nachgeholt werden. Auch Hausbesuche wurden aufgrund der Pandemie nur in dringenden Fällen durchgeführt. Die Corona-Pandemie hat die ohnehin bereits angespannte Lage noch zusätzlich verschlimmert, da sozial benachteiligte Personen meist die Ersten sind, die von den Auswirkungen gesellschaftlicher Krisen betroffen sind 2.
Bereits vor der Pandemie lag die Zahl der Zwangsräumungen im Jahr 2019 in NRW bei 15500 3. Jetzt, da viele Zwangsräumungen nachgeholt werden, fehlt die Zeit, sich ausreichend um die Klient*innen zu kümmern: Die Mitarbeitenden der sozialen Beratungs- und Unterstützungsstellen helfen den Klient*innen häufig bei der Tilgung von Mietschulden und leisten weitere Unterstützung, um eine eventuelle Zwangsräumung zu verhindern. Das Abwenden der Wohnungslosigkeit ist für Beratungsstellen wie die sozialen Dienste der Städte ein zeitaufwendiger Prozess, doch bis zur Räumung einer Wohnung bleibt häufig nicht viel Zeit. Meistens melden sich die Bürger*innen erst nach dem Erhalt der zweiten von insgesamt zwei fristlosen Kündigungen bei der Stadt, bevor dann die Räumungsklage eingeleitet wird. Bei Räumungsverfahren, die aufgrund von Mietrückständen entstehen, erfahren die Mitarbeitenden auch über andere Ämter wie die Fachstelle für Wohnungssicherung von dem drohenden Wohnungsverlust. Meist bleibt den Sozialarbeitenden zu wenig Zeit, um mit dem*der Vermieter*in zu kommunizieren und unter bestimmten Bedingungen ein kurzfristiges Darlehen zu erwirken.
Im Gespräch mit Wohnungslosen stellten wir in diesem Zusammenhang fest, dass diese häufig nicht wissen, welche Hilfsangebote es gibt und an wen sie sich wenden können. Daher suchen Betroffene Hilfestellen zum Teil spät oder gar nicht auf. Hinzu kommt, dass es sich in vielen Fällen um Menschen handelt, welche sich durch schicksalhafte Ereignisse, Erkrankungen oder andere Umstände in belastenden Lebenssituationen befinden, wodurch es ihnen erschwert ist, den strikten Anforderungen des Amtes und der Justiz gerecht zu werden. Für Sozialarbeitende ist es somit insgesamt eine tägliche Herausforderung, die Menschen weiter in das Hilfesystem zu integrieren und ihnen bei der Abwendung der drohenden Wohnungslosigkeit zu helfen.
Es besteht zusammenfassend dringender Handlungsbedarf, um die Zahl der Zwangsräumungen in Deutschland und die damit einhergehende Obdach- und Wohnungslosigkeit zu verringern.
Unsere Forderungen an Sie sind nun:
1. Verlängerung der Schonfrist: Die Schonfrist von zwei Monaten zur Begleichung der Mietschulden muss verlängert werden, damit Mietende oder die zuständigen Mitarbeitenden der sozialen Fachbereiche ausreichend Zeit haben, um die drohende Wohnungslosigkeit abzuwenden. Wir fordern die Möglichkeit, dass die Fristen von Räumungsklagen durch Sozialarbeitende aufgeschoben werden können. Diesen sollte mehr Handlungsspielraum gegeben werden, sobald ihrer Einschätzung nach ersichtlich ist, dass die Betroffenen mitwirken und ein kurzfristiges Darlehen beantragt werden kann.
2. Die Informationspflicht der Jobcenter: Die Regelung, dass die Jobcenter die Kosten der Unterkunft (KdU) von Leistungsempfänger*innen direkt an die Vermieter*innen überweisen können, beugt Zahlungsrückständen vor. Daher fordern wir eine Informationspflicht der Jobcenter gegenüber den Leistungsempfänger*innen über diese Möglichkeit.
Die Erfüllung unserer Forderungen würde die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland verringern und den Menschen ein besseres Leben ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Unterzeichner*innen
Rick Arend, Lena Kammerer, Natascha Kunde, Annika Lobergh, Jana Riegert, Jule Schabernack, Michelle Schmidt & Timo Zingsheim
Quelle:
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Interview mit dem Mieterbund NRW ↩