Die Würde des Menschen ist unantastbar? Wie Sinti*zze und Rom*nja im Migrationsrecht strukturell diskriminiert werden
Die Situation von Sinti*zze und Rom*nja im deutschen Migrationsrecht ist geprägt von struktureller Diskriminierung und prekären Lebensbedingungen. Folgend werden einige der zentralen Probleme beschrieben:
Duldung und Unsicherheit
Viele Sinti*zze und Rom*nja haben aus verschiedenen Gründen keinen Aufenthaltstitel in Deutschland und sind folglich ausreisepflichtig. Ihre Abschiebung ist aber aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich. Sie sind in der BRD geduldet, was heißt, dass ihre Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wird. Eine geduldete Person ist registriert, was durch die Ausländerbehörde bescheinigt wird, und befindet sich nicht illegal in Deutschland. Viele der geduldeten Menschen erhalten jahre- oder jahrzehntelang immer wieder eine Duldung. Durch solche sogenannten Kettenduldungen befinden sich die Menschen in prekären Situationen mit ungewissen Zukunftsaussichten. Sie müssen jeden Tag Angst haben, abgeschoben zu werden, teilweise in ein Land, in dem sie vorher noch nie waren. Denn mit einer Duldung ist man nicht berechtigt, das Bundesgebiet zu verlassen und Kinder einer geduldeten Person erhalten, auch wenn sie in Deutschland geboren wurden, in der Regel ebenfalls eine Duldung.
Das „Chancen“-Aufenthaltsrecht
Obwohl das neue Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG) am 31.12.2022 in Kraft getreten ist, um langzeitgeduldeten Menschen eine Perspektive zu bieten, bleibt es weit hinter den Erwartungen zurück. Die 18-monatige Probezeit, um ein dauerhaftes Bleiberecht zu erlangen, ist mit zahlreichen Hürden verbunden, und bei Nichtbestehen droht der Rückfall in die Duldung. Dies schafft keine echte Perspektive für Betroffene.
Exklusion auf dem Arbeitsmarkt
Die Duldung ist in Bezug auf die Berufsausübung ein schwieriger Status. Allein der Umstand, dass dieser alle sechs Monate erneut bestätigt und verlängert werden muss, birgt eine große Hürde, eine Arbeit zu finden. Viele Ausländerbehörden tragen in die Duldung routinemäßig „Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet“ ein, wodurch eine Arbeitsaufnahme erheblich erschwert wird. Sinti*zze und Rom*nja haben öfter das Problem, dass ihnen vorgeworfen wird, selbst für die Unmöglichkeit der Abschiebung verantwortlich zu sein („mangelnde Mitwirkungspflichten“). Deswegen darf ihnen rechtlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden. Hierdurch haben sie kein Recht im Anschluss an 18 Monate Leistungsbezug nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die umfangreicheren Bürgergeldleistungen zu beziehen. Aus diesem Grund bleibt auch die medizinische Versorgung eingeschränkt. Die mangelnden Mitwirkungspflichten beziehen sich oftmals auf die Passbeschaffung, die sich als problematisch gestalten kann.
Staatenlosigkeit
Zahlreiche Sinti*zze und Rom*nja sind staatenlos, da ihnen die Staatsangehörigkeit beispielsweise zur NS-Zeit aberkannt wurde oder durch den Zerfall von Jugoslawien. Diese Staatenlosigkeit erschwert ihre rechtliche Position und ihre Möglichkeiten, Schutz zu erhalten.
Die „sicheren Herkunftsstaaten“
Aktuell gelten die Westbalkanländer Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien als „sichere Herkunftsstaaten“. Dies hat zur Folge, dass die meisten Asylanträge von Rom*nja aus diesen Ländern abgelehnt werden. Die Situation von anhaltenden rassistischen Stigmatisierungen und struktureller Diskriminierung in diesen Ländern wird im Asylverfahren oft nicht angemessen berücksichtigt, was zu unfairen Entscheidungen führt.
Deswegen fordern wir:
- Die Schaffung von Perspektiven für alle (Langzeit)geduldeten Menschen, einschließlich Sinti*zze und Rom*nja.
- Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Geltendmachung von Diskriminierung in den Westbalkanstaaten.
- Einen Abschiebestopp von Sinti*zze und Rom*nja in die Westbalkanstaaten und die Gewährung eines Bleiberechts.
- Ein verstärktes Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung des Antiromaismus sowohl im Inland als auch im Ausland.
- Es ist wichtig, dass die strukturelle Diskriminierung und die prekären Lebensbedingungen, denen Sinti*zze und Rom*nja im deutschen Migrationsrecht ausgesetzt sind, erkannt und bekämpft werden, um ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe und Perspektiven in der Gesellschaft zu ermöglichen.