Schlafen ist kein Luxus Beratung von obdach- sowie wohnunglosen trans*-Personen
„Ich berate regelmäßig trans* Personen, die Gewalt erleben. Ob in der Familie, auf der Straße oder wie kürzlich wieder in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe“, sagt Charly Krenn, psychosoziale Anti-Gewalt-Beraterin im rubicon. Das rubicon ist ein Kölner Beratungszentrum, das unter anderem trans* Personen unterstützt und in Krisen begleitet. Im Kontext der Wohnungslosigkeit sei ein Großteil der queeren Klientel unter 30 Jahre alt und die Wohnungslosigkeit entstehe oft durch Gewalt in der Herkunftsfamilie. Meistens handele es sich laut Erfahrungsberichten um angedrohte oder ausgeführte Gewalt als Reaktion auf ein Outing als trans*, weshalb den trans* Personen keine Möglichkeit bliebe, zu Hause wohnen zu bleiben, erläutert Krenn und so beginne die schwierige Suche nach passenden Unterbringungsmöglichkeiten für diese Personen.
“Es gibt keine gesicherte Verweisstruktur”
Das Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfesystem in Deutschland, wie beispielsweise Notschlafstellen für die Nacht, sind binär geschlechtlich aufgebaut. Es gibt folglich Einrichtungen für Männer und Frauen. Im Raum Köln und Umgebung gibt es jedoch keine Einrichtungen für Menschen, die zum Beispiel in der Transition sind oder keinem der beiden Geschlechter zugeordnet werden können oder wollen. Auch keine der existierenden nach Männern und Frauen getrennten Einrichtungen in Köln und Umgebung nehmen als Zielgruppe explizit trans* Männer und trans* Frauen gemäß ihrer Geschlechtsidentität auf. Auf der Suche nach einem Schlafplatz für diese Personen zeigt sich laut Charly Krenn daher immer wieder: „Es gibt keine gesicherte Verweisstruktur. Oft fühlt sich keine der Einrichtungen zuständig und ein Telefonmarathon beginnt. Dieser endet häufig damit, dass ich den trans* Personen sagen muss: Es gibt keine Einrichtung, wo du übernachten kannst.“ Aber auch falls sich eine Einrichtung findet, die die trans* Person aufnehmen möchte, ist dies laut Krenn stets eine Ermessensentscheidung: „Ich kann den bereits von Gewalt betroffenen trans* Personen keine Garantie geben, dass diese in der Einrichtung nicht erneut Gewalt erfahren. Das ist eine schmerzliche Realität für diese Menschen.“
„Das Risiko als trans* Person sexuelle Gewalt zu erleben ist hoch“
Wenn eine Unterbringung auf Grundlage des sogenannten Personenstandes erfolgt, kann es vorkommen, dass bspw. eine trans* Frau in einer Männer-Notschlafstelle untergebracht wird. Eine im Jahr 2019 veröffentlichte Studie namens „Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als Risikofaktoren für und in Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit“ der Gewaltforscherin Constance Ohms, befragte Fachkräfte aus Wohnungslosen- und Obdachloseneinrichtungen sowie trans* Personen, die diese in Anspruch nahmen. Die Studie zeigt: Das Risiko, in diesen Einrichtungen sexuelle und/oder physische Gewalt zu erleben ist sehr hoch. Im Regelfall kann durch die dort arbeitenden Sozialarbeiter_innen kein umfassender Schutz hergestellt werden; auch sei laut Studie nicht auszuschließen, dass Fachkräfte die Situation grenzüberschreitenden Verhaltens nicht angemessen einschätzen oder falsch bewerten. „Queere Bildung und Sensibilisierung von Einrichtungen kostet Zeit, Geld und Selbstauseinandersetzung. Dafür muss sich entschieden werden und hier kommt es häufig an einen Knackpunkt in der Auseinandersetzung“, berichtet Charly Krenn.
“Wer hat ein Recht auf Sicherheit?”
Charly Krenn und ihre Kolleg_innen im rubicon bieten im Kölner Raum Fortbildungen für u.a. Obdachlosen- und Wohnungsloseneinrichtungen an. Teil der Schulungen seien Berichte aus Krenns Arbeit, in welchen trans* Personen trans*feindliche Gewalt in den Einrichtungen durch Mitarbeitende oder sexuelle Gewalt durch Bewohner_innen erlebten. „Vielen Menschen ist die Realität wohnungsloser trans* Personen, zwischen potenzieller Gewalt auf der Straße oder in den Einrichtungen wählen zu müssen, gar nicht klar. Auch dass sie als Fachkraft in diesem Gemenge eine Schlüsselrolle haben, ist häufig unreflektiert.“ Fragen rund um Ängste und Sicherheit sowie deren unausgesprochenen Wertigkeit würden ebenso im Raum stehen.
„Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist ein drängendes Problem unserer Zeit in Folge von Armut, sozialpolitischen Missständen, stetig steigenden Wohnkosten und struktureller Diskriminierung. Es ist ein strukturelles Problem, das einer strukturellen Lösung bedarf. Die praktische Soziale Arbeit hat es hier mit zur Aufgabe diese Missstände zu bewältigen und Hürden abzubauen, um sichere Lebensverhältnisse für alle zu ermöglichen“, sagt Charly Krenn.
Krenn und ihre Kolleg_innen versuchen daher neben den fortlaufenden Schulungen, der Beteiligung an Fokusgruppen und politischer Arbeit, nun zusätzlich ganz konkrete Wege zu gehen: Ein queeres Weglaufhaus sei in Planung.